Donnerstag, 4. August 2022

 

Stimmen der Zeit
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
 
vom 31. August bis zum 8. September findet in Karlsruhe – und damit erstmals in Deutschland – die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) statt. Rund 5000 Gäste aus 352 Mitgliedskirchen werden erwartet. Schon im Vorfeld zeichnen sich einige Spannungen etwa um die Teilnahme russischer orthodoxer Vertreter ab. Aber wie steht es eigentlich um die Ökumene insgesamt?
Stefan Kiechle SJ
Im Glauben an Christus sind alle eins. Und doch gibt es zahlreiche Spaltungen. Zur Einheit der Kirche Christi gehören aber nicht nur institutionelle oder spirituelle Einmütigkeit, sondern auch eine versöhnte Verschiedenheit. Anlässlich unseres Ökumene-Schwerpunktes im neuen Heft, vertiefe ich diese Gedanken in meinem Editorial (s.u.).
 
Die Themen im August:
 
Die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Karlsruhe wird maßgeblich von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland vorbereitet. Verena Hammes, Geschäftsführerin der ACK, gibt einen Überblick über die Zusammensetzung und die Aufgaben der ACK und benennt aktuelle Herausforderungen.
 
Erste Stimmen im ÖRK forderten wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine einen Ausschluss von Vertretern des Moskauer Patriarchats. Johannes Oeldemann, Direktor des Instituts für Ökumenik, plädiert demgegenüber dafür, die dialogfähigen Kräfte in den östlichen Kirchen zu stärken, um Brücken bauen zu können.
 
Wie steht es um die Eucharistische Gastfreundschaft? Zwei Frankfurter Stadtdekane, Johannes zu Eltz (katholisch) und Achim Knecht (evangelisch) suchen im Interview mit Stefan Kiechle SJ nach neuen Wegen für gemeinsame Gottesdienste.
 
Georg Dietlein stellt anhand von offiziellen Verlautbarungen, Ansprachen und Begegnungen das Ökumeneverständnis von Papst Franziskus vor, das von einer großen Offenheit für die weitere Entwicklung geprägt ist, solange die gemeinsame Praxis im Vordergrund steht.
 
Tomáš Halík warnt vor unheilvollen Beziehungen zwischen Kirche und Staat, wie etwa in Russland und Polen. Gleichsam müsse sich die Kirche als inspirierende geistige Kraft an der Heilung der Welt beteiligen: „Wenn der Prozess der weltweiten Einigung fortgesetzt werden soll, können wir uns nicht allein auf die wirtschaftliche Seite der Globalisierung verlassen.“
 
Putin beruft sich bei der Rechtfertigung seiner autoritären Politik auch auf russische Schriftsteller. Damit tut er einigen Unrecht. Am Beispiel Berdjajews zeigt Arnold Köpcke-Duttler, dass sich die großen russischen Literaten und Philosophen nicht so leicht vor den Karren eines aggressiven Angriffskriegs spannen lassen.
 
Klaus Mertes SJ führt in die jesuitisch-spirituelle Methode des „Unterscheidens der Geister“ein und zeichnet die Exerzitien des Ordensgründers Ignatius von Loyola anhand von aktuellen und praktischen Beispielen nach.
 
Außerdem lesen Sie im August zwei Essays von Hermann-Josef Große Kracht (Staatsrecht nach 1945) und Lorenz Wachinger (Carl Orffs „Spiel vom Ende der Zeiten“) sowie Rezensionen aus Theologie & Kirche und „Wissenschaft & Bildung.
 
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und einen schönen Sommer
 
Ihr
 
P. Stefan Kiechle SJ, Chefredakteur
 
Heft 8, August 2022:
Stimmen der Zeit - Aktuelles Heft
 
Inhalt
Verena Hammes: Vom Stand der Ökumene. Herausforderungen für die Zukunft
Johannes Oeldemann: Spannungsreiches Verhältnis. Orthodoxe Kirchen und Ökumenische Bewegung
Johannes zu Eltz / Achim Knecht: Eucharistische Gastfreundschaft. Interview mit zwei Frankfurter Stadtdekanen
Georg Dietlein: Primat der Zeit. Papst Franziskus und die Ökumene
Tomáš Halík: Ein neues Kapitel der Geschichte. Das Christentum im Krieg der Waffen und Ideen
Arnold Köpcke-Duttler: Berdjajews Kritik des Krieges. Die Autokratie Putins und ein slawophiler Denker
Klaus Mertes SJ: Entscheidungen im Herrn. Ignatianische Unterscheidungsregeln
Hermann-Josef Große Kracht: Staatsrecht nach 1945. Ernst-Wolfgang Böckenförde und Carl Schmitt
Lorenz Wachinger: Diskussion der Höllenstrafe. Carl Orffs „Spiel vom Ende der Zeiten“
 
Aus dem aktuellen Heft:
Die eine und gespaltene Kirche
Editorial: Stefan Kiechle SJ 
 
Durch die eine Taufe gehören Christgläubige der einen Kirche Jesu Christi an. Im Glauben an Christus sind alle eins. Und doch gibt es zahlreiche Spaltungen in der Christenheit. Wo stehen wir auf dem Weg zur Einheit? Auf drei Ebenen, so der Eindruck, gibt es Spaltungen:
 
Zunächst Spaltungen in der Lehre: Viele davon sind alt und waren Ursachen für Schismen. Es ist eine intellektuelle Arbeit, theologisch um Einigungen zu ringen. Oft können gegenseitige Verwerfungen in der Geschichte vor allem als Folge kultureller Unterschiede oder als Missverständnisse aufgelöst werden. Bisweilen braucht es auch neue Offenheit für ein gewisses Maß an Pluralität in der Lehre. Die Unterschiede sind historisch gewachsen und können sich daher auch historisch weiterentwickeln. Viele dieser Spaltungen gelten in theologischen Konsensdokumenten als überwunden, andere gelten als bleibende Hemmnisse, wieder andere gelten heute – bei ganz anderen theologischen Herausforderungen – als irrelevant. Kommen auch neue hinzu? Patriarch Kyrill I. weicht in seiner Haltung zum Krieg so sehr vom Konsens einer nicht nur westlichen christlichen Friedensethik ab, dass sich hier neue Spaltungen zeigen.
 
Sodann Spaltungen, die man „strukturell“ nennen könnte: Da werden Ämter mit ihren jeweiligen Vollmachten von anderen nicht anerkannt, auch nicht Jurisdiktionen anderer Konfessionen und die von einigen Kirchen beanspruchten Lehr- und Jurisdiktionshoheiten. Folglich gelten auch, zumindest teilweise, die Sakramente als ungültig. Verbunden ist diese Spaltung leider auch mit der Geschlechterfrage: Würde die katholische Kirche Frauen ordinieren, wie von anderen Kirchen inzwischen praktiziert und vielerorts dringlich gefordert, wäre die Spaltung zur Orthodoxie vertieft.
 
Schließlich Spaltungen, die am besten als „spirituell“ zu bezeichnen sind: Einerseits das Kirchenverständnis und -gefühl von charismatisch-evangelikalen Christen, andererseits jenes von intellektuell-kritischen Christen; oder jenes von Katholiken, die die alte Messe oder die traditionelle Sexualmoral schätzen, und jenes von Christen, die sich für die Rechte queerer Menschen engagieren; oder jenes von großbürgerlichen Christen Europas und jenes von Baptisten in den Slums von Bogota – sind sie nicht so grundlegend verschieden, dass kaum mehr ein Dialog möglich ist und man daher von „Spaltungen“ reden muss? Diese Spaltungen liegen oft quer zu klassischen Konfessionsgrenzen. Auf dem synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland wird immerhin gesprochen – in anderen Ländern, etwa in Frankreich oder in den USA, ist die Kommunikation zwischen den „Lagern“ weitgehend abgebrochen. Spirituell gespalten ist die Kirche immer dann, wenn eine Gruppierung für sich den Geist reklamiert und ihn der anderen abspricht.
 
Die Medien und damit die säkulare Öffentlichkeit sehen wohl vor allem die Uneinigkeit der kirchlichen Institutionen. Hinter dieser Außensicht gibt es jedoch – so mein Eindruck – einerseits viel mehr Einheit, als wahrgenommen wird: eben in der einen Taufe und im Leben aus der Schrift, im Glauben an die Erlösung durch Christus und im Gebet zu ihm, im Engagement für Gerechtigkeit und Frieden und im Einsatz für Arme und Vertriebene, nicht zuletzt in der Be-reitschaft, für den Glauben Verfolgung und Martyrium zu ertragen. Andererseits gibt es mehr Spaltung, als wahrgenommen wird: eben in einseitigen und untereinander quasi inkompatiblen Kirchentümern, im Anspruch einiger Kirchen zu definieren, was wahre Kirche sei und dies anderen Kirchen zu- oder abzusprechen, in bisweilen autoritären politischen Optionen kirchlicher Gruppen, auch in der internen Gewalt in der Kirche und in der Unfähigkeit, diese zu sehen und zu bekämpfen, schließlich im mangelnden Willen einiger, offen zu kommunizieren, etwa über Fragen, welches Christentum evangeliumsgemäß sei.
 
Kirche ist immer zugleich irdische, oft recht weltliche Institution und himmlische, reichlich spirituelle Gemeinschaft. Diese Doppelung macht sie so unverständlich und unfassbar, so ambivalent und angreifbar, aber auch so geheimnisvoll und faszinierend. Die Doppelung ist übertragen die der beiden Naturen Christi: Himmlisches inkarniert sich zu Irdischem. Könnte man hier nicht weiterarbeiten, theologisch und spirituell und auch „institutionell“?
 
Nur eine geeinte Kirche verkündet im Sinne des Evangeliums glaubwürdig und wirksam das Reich Gottes. Diese Einheit ist nicht eine vorwiegend institutionelle – das wäre die katholische Versuchung – und ebenso wenig eine vorwiegend spirituelle – vielleicht die evangelische und auch die orthodoxe Versuchung. Zur Einheit gehört – ein vielfach verbreiteter Ausdruck – versöhnte Verschiedenheit. Anzufügen ist aber in diesen zerrissenen Zeiten, dass die geeinte Kirche sich dann doch von Kirchen, die eindeutig dem Evangelium widersprechen – der Blick geht derzeit nach Russland – distanzieren muss. Spaltungen, das ist vorausgesagt, wird es auf dem Weg zur Einheit bleibend geben.
 
 
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