Pressemitteilung
„Das hat seinen Preis“
Nato-Expertin Stefanie Babst im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag 8. August 2022)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -
Die frühere Nato-Chefstrategin Stefanie Babst befürchtet, dass die Diskussion über den Ukraine-Krieg in Deutschland zunehmend „polarisierter und empathieloser“ wird. „Die Frage, wer zu welchem Preis im Herbst in einer warmen Wohnung sitzen kann, verdeckt zunehmend, um was es im Kern geht: Wir haben Krieg in Europa!“, betonte Babst im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag der Themenausgabe „Nato“; 8. August 2022). Russlands „Spezialoperation“ scheine längst in Deutschland angekommen zu sein, denn Moskau unternehme alles, um gezielt Kriegsmüdigkeit und Ängste in der deutschen Öffentlichkeit zu schüren. Das militärische Nichteingreifen der Nato in der Ukraine hält Babst zwar für „politisch nachvollziehbar“, doch habe diese Politik auch ihren Preis. Der Krieg habe bereits Tausende Menschenleben gekostet und die russischen Streitkräfte hätten nunmehr ein Fünftel des Territoriums erobern können. „Uns muss klar sein, dass unsere Reaktion in China, im Iran und anderen autoritären Regimen genau beobachtet wird“, warnte die Nato-Expertin. Sie kritisiert, dass die Allianz „wenig Konkretes“ zur Unterstützung der Ukraine und anderer vulnerabler Staaten wie Moldau und Georgien beschlossen habe. Ohne westliche militärische Hilfe und die gezielte Vorbereitung auf verschiedene Kriegsszenarien könne die Ukraine aber nur bedingt über das politische Endziel des Konflikts entscheiden, betonte Babst.
Das Interview im Wortlaut:
Das
Parlament: Frau Babst, erst hirntot, nun durch Russlands Überfall auf
die Ukraine wiederbelebt – teilen Sie diese Diagnose zum Zustand der
Nato?
Stefanie Babst: Hinter dieser provozierenden Aussage des
französischen Präsidenten Macron stand die Sorge, dass das Bündnis
seinen strategischen Fokus verloren hätte. Den hat es nun
wiedergefunden. Auf dem Gipfeltreffen in Madrid hat die Nato ihre
verstärkte Abschreckungs- und Verteidigungsbereitschaft gegenüber
Russland unterstrichen. Der Krieg in der Ukraine und die strategische
Auseinandersetzung mit dem Regime in Moskau stehen nun im Mittelpunkt
ihrer Agenda. Das ist gut und richtig. Leider aber hat die Allianz wenig
Konkretes beschlossen, wie sie den Verlauf des Krieges in der Ukraine
und die Sicherheit so vulnerabler Partner wie Moldau und Georgien aktiv
beeinflussen will.
Das Parlament: Die Nato hat der Ukraine „so lange wie nötig“ Unterstützung im Kampf gegen Russland zugesagt. Das finden Sie zu wenig?
Stefanie Babst: Dieses
Versprechen ist für die Ukraine natürlich tröstlich, aber wenig konkret.
Was soll das politische End Game sein? Der Kriegsverlauf wird weiter
sehr dynamisch sein und die ukrainischen Streitkräfte sind in keiner
guten Ausgangsposition. Die Nato müsste der Ukraine zumindest mit einem
militärischen Konzept helfen, um sich zielgerichtet auf verschiedene
Szenarien vorzubereiten. Doch in Madrid ist es bei der vagen
Beschreibung „So lange wie nötig“ geblieben. Das Argument, das
politische Endziel müsse die Ukraine selbst entscheiden, ist ja im
Prinzip richtig, aber ohne westliche militärische Hilfe kann die
Regierung in Kiew das nur bedingt tun.
Das Parlament: Mehrere Partner, darunter Deutschland, wollen noch mehr schwere Waffen liefern.
Stefanie
Babst: Das geht für meinen Geschmack viel zu langsam voran. Mit der
frühzeitigen Lieferung von Luft- und Raketenabwehrsystemen,
Distanzwaffen und Panzern hätten sich die Ukrainer schon im April, als
die zweite russische Großoffensive begann, besser verteidigen können.
Jetzt wird es jeden Tag schwieriger, diese Waffensysteme und Munition an
Ort und Stelle zu bringen. Russland verfügt über effektive
Aufklärungsmittel, und nutzt diese, um Versorgungs- und Transportwege
und Munitionsdepots in der Ukraine anzugreifen.
Das
Parlament: Die Sorge ist groß, durch Waffenlieferungen in einen direkten
Konflikt mit Russland gezogen werden. Was ist falsch daran, eine
Ausweitung des Krieges verhindern zu wollen?
Stefanie Babst:
US-Präsident Joe Biden hat mit seiner Aussage Ende Februar, die Nato
werde nicht direkt in den Krieg eingreifen, die politisch-militärischen
Parameter für den russischen Angriffskrieg gesetzt. Mit der gleichen
Begründung hat das Bündnis etliche Wünsche der Ukrainer abgelehnt: von
einer Flugverbotszone und den Schutz humanitärer Korridore bis zu einer
Koordinierungsrolle bei Waffenlieferungen und Ausbildungsprogrammen. Das
militärische Nichteingreifen der Nato ist zwar politisch
nachvollziehbar, weil die Verbündeten um keinen Preis eine direkte
militärische Auseinandersetzung mit Russland riskieren wollen. Aber
diese Politik hat auch ihren Preis. Der Krieg hat bereits Tausende
Menschenleben gekostet und Russland konnte nunmehr ein Fünftel des
Territoriums erobern. Uns muss klar sein, dass unsere Reaktion in China,
im Iran und anderen autoritären Regimen genau beobachtet wird. Dort
fragt man sich, ob wir einen langen Konflikt mit Russland politisch und
wirtschaftlich wirklich durchhalten können oder bereits jetzt eine
„Ukraine fatigue“ eingesetzt hat.
Das Parlament: Was bedeutet das für den weiteren Verlauf des Krieges?
Stefanie
Babst: In den kommenden Wochen und Monaten werden beide Kriegsparteien
primär damit beschäftigt sein, ihre Truppen aufzustocken und sich neu zu
sortieren. Die russischen Streitkräfte werden ihre Angriffe sicherlich
so lange fortsetzen, bis sie die gesamte Region Donezk unter ihre
Kontrolle gebracht haben. Überdies rechne ich damit, dass sie auch
Städte im Süden wie Odessa oder Charkow im Norden weiter angreifen
werden. Auch Kiew könnte stärker ins Zentrum russischer Raketenangriffe
rücken. Mit einiger Sorge blicke ich außerdem auf den September. Dann
will der Kreml sogenannte Referenden in den eroberten Gebieten
durchführen, um danach deren Zugehörigkeit zu Russland zu proklamieren.
Das Parlament: Wovon wird abhängen, ob die Ukraine sich besser verteidigen oder sogar zu Gegenoffensiven übergehen kann?
Stefanie
Babst: Davon, wie schnell sie ihre Truppenverbände wieder auffüllen
kann und wie schnell westliche Waffen an bestimmten Frontabschnitten
stationiert werden können. Sorgen macht mir allerdings noch etwas
anderes.
Das Parlament: Was?
Stefanie Babst: Wenn
ich mir die gegenwärtige Diskussion über den Ukraine-Krieg in
Deutschland anschaue, dann befürchte ich, dass sie immer polarisierter
und empathieloser wird. Die Frage, wer zu welchem Preis im Herbst in
einer warmen Wohnung sitzen kann, verdeckt zunehmend, um was es im Kern
geht: Wir haben Krieg in Europa! Mir scheint, dass Russlands
„Spezialoperation“ längst in Deutschland angekommen ist. Moskau
unternimmt alles, um gezielt Kriegsmüdigkeit und Ängste in der deutschen
Öffentlichkeit zu schüren.
Das Parlament: Zumindest gegen
mögliche militärische Angriffe Russlands wollen die Nato-Staaten sich
besser wappnen. Die Ostflanke wird verstärkt und eine schnell
einsatzfähige Truppe mit bis zu 300.000 Frauen und Männern aufgestellt.
Stefanie
Babst: Das ist ein ambitioniertes Ziel. Bislang hat SACEUR, der
Nato-Oberbefehlshaber in Europa, nur 40.000 schnell verlegbare und
einsatzfähige Truppen unter seinem Kommando. Die geplanten 300.000
Streitkräfte werden combat-ready, sehr gut ausgebildet und schnell
verlegefähig sein müssen. Hinzu kommen die notwendigen
Führungsstrukturen. Ich schätze, das wird für die meisten der künftig 32
Mitgliedstaaten eine Herausforderung werden.
Das Parlament:
China wird im neuen strategischen Konzept der Nato lediglich als
„Herausforderung“ bezeichnet. Was steckt hinter dieser Formulierung?
Stefanie
Babst: Zum einen die Position der US-Regierung, die China als
fundamentale Bedrohung sieht. Langsam scheinen aber auch europäische
Regierungen zu begreifen, dass China nicht nur ein wichtiger
Wirtschaftspartner, sondern ein wirtschaftlich-technologisch und
militärisch potenter Rivale ist, der die internationale Ordnung
verändern will – in enger Partnerschaft mit Russland. Schon jetzt ist
die chinesische Präsenz in Europa mit zahlreichen Risiken verbunden –
militärisch, energiepolitisch, infrastrukturell, durch hybride
Aktivitäten oder Cyberattacken. Wir müssen uns besser und gezielter
darauf vorbereiten und unsere Resilienz auf breiter Front verstärken.
Das
Parlament: Ex-US-Präsident Donald Trump nannte die Nato einst
„obsolet“, er kann sich in zwei Jahren Hoffnungen auf eine Wiederwahl
machen. Was würde seine Rückkehr für uns Europäer bedeuten? Der
Ukraine-Krieg macht ja gerade sehr deutlich, wie stark die Sicherheit
Europas von den USA abhängt.
Stefanie Babst: Das ist eine
zentrale Frage. Mit der Wahl Präsident Bidens ist der „Trumpismus“
leider nicht aus Amerika verschwunden. Das Land und seine Gesellschaft
bleiben zutiefst gespalten und fragmentiert. Sollte Biden geschwächt aus
den Vorwahlen im November hervorgehen, würde das Wasser auf die Mühlen
in Moskau, Peking und Teheran sein. In Europa würde ein solches Ergebnis
sicher zu gemischten Gefühlen führen. Andererseits werden mit Finnland
und Schweden zwei militärisch exzellent ausgerüstete und solide
Demokratien dem Bündnis beitreten und den europäischen Pfeiler in der
Nato stärken. Das ist eine wirklich gute Nachricht.
Das Gespräch führte Johanna Metz.
Stefanie Babst ist strategische Beraterin und Publizistin. Bis 2020 war sie 22 Jahre lang in verschiedenen Führungspositionen für die Nato tätig, zuletzt leitete sie dort den Strategischen Planungsstab.
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