| Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
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| Ja,
es gibt viel Dunkel in der Kirche: einen Reformstau, der die Kirche vor
der modernen Welt lächerlich zu machen droht, Polarisierungen und
verbale Eskalationen, Bürokratie, schleppende Missbrauchsaufarbeitung,
das realitätsblind anmutende und autoritär-blockierende Rom und einiges
mehr. Demgegenüber
gibt es aber auch viel Licht in der Kirche, lebendige Gemeinden, gute
Schulen, soziales Engagement durch Laien, Priester und Ordensleute.
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| „Warum findet sich in den Medien vor allem das Dunkel?“
In unserem neuen Editorial (s.u.) möchte ich werben für konstruktive
Berichte von den guten Taten und engagierten Menschen in der Kirche,
ohne die Schattenseiten der Institution zu verschweigen. Die Themen im März: Peter Neuner belegt, dass die absolutistische Denkweise in der Kirche
überwunden werden kann und muss. Dafür beruft er sich auf Lehrschreiben
seit dem Ersten Vatikanischen Konzil und setzt Hoffnungen in den bis
2024 geplanten weltweiten Synodalen Weg. Anna Colin Lebedev vergleicht im Interview mit François Euvé SJ die ukrainische mit der russischen Gesellschaft.
Die Kluft zwischen beiden Ländern wird immer größer. Zentral für das
Verständnis sei die Allgegenwart der Gewalt und die Aufwertung der
„Männlichkeit“ in Russland seit Kriegsbeginn. Droht dem Naumburger Dom
der Entzug als UNESCO-Welterbestätte? Georg Maria Roers SJ berichtet
von einem Streit, der sich an der Wiedererrichtung eines Altars von
Lucas Cranach mit einem neuen Bild des Leipziger Künstlers Michael
Triegel entflammte. Verbrechen als Kunst:
Obgleich Korruption illegal ist, werden bekannte Persönlichkeiten zwar
nicht bewundert wie der „Wolf of Wall Street“, aber zumindest staunend
betrachtet. Roland Benedikter über die Vorstellung, dass sich hinter
einem erfolgreichen Verbrechen ein intelligenter Coup, also eine hohe
Kunst für sich, verbirgt. Ist die Gegenwart des Heiligen herstellbar, etwa durch Kultbilder? Eckhard Nordhofen, Autor von und „Media Divina. Die Medienrevolution des Monotheismus
und die Wiederkehr der Bilder“ (Freiburg 2022), setzt sich kritisch mit
Jan Assmanns Begriff der „Präsentifikation“ auseinander und bietet eine
christliche Auslegung an. Verena Hammes reflektiert über die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen
(ÖRK) in Karlsruhe (September 2022). Welche Fortschritte konnten
erzielt werden, welche Herausforderungen bleiben für die Zukunft? Außerdem lesen Sie im März einen Essay von Dietmar Mieth (Kirchliche Sexualmoral vor dem Abgrund) sowie Rezensionen aus Kunst & Kultur und Theologie & Kirche. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre Ihr
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| P. Stefan Kiechle SJ, Chefredakteur
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| Inhalt | |
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| | • | Stefan Kiechle SJ: Licht und Dunkel der Kirche |
| • | Peter Neuner: Synodalität oder Absolutismus |
| • | François Euvé SJ / Anna Colin Lebedev: Russland und die Ukraine. Divergenz zweier Gesellschaften |
| • | Georg Maria Roers SJ: Kirche oder Museum? Zum Streit um den Welterbe-Status des Naumburger Doms |
| • | Roland Benedikter: Verbrechen als Kunst. Eine zeitgenössische Mentalität |
| • | Eckhard Nordhofen: Präsentifi kation. Lässt sich die Gegenwart Gottes herstellen? |
| • | Verena Hammes: Geschichte oder Geschichte schreibend? Nachlese zur Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen |
| • | Dietmar Mieth: Kirchliche Sexualmoral vor dem Abgrund? |
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| Licht und Dunkel der Kirche | |
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| Editorial: Stefan Kiechle SJ
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| Ja,
es gibt viel Dunkel in der Kirche: Ein Reformstau ohne Ende, der die
Kirche vor der modernen Welt lächerlich zu machen droht. Zermürbende
Polarisierungen, oft irrational, sprachlich eskalierend. XXL-Pfarreien,
für viele das Ende klassischer Seelsorge. Eine Überinstitutionalisierung
und -bürokratisierung, die den Blick auf Geistliches behindert. Die
Missbrauchsaufarbeitung, die nur schleppend vorankommt.
Führungspersonen, die hilflos und überfordert wirken. Das realitätsblind
anmutende und autoritär-blockierende Rom. Eine Jugend, die – vielfach
verständlich – einfach wegbleibt. Ja,
es gibt viel Licht in der Kirche: Lebendige Gemeinden, in denen
Menschen mit Freude ihren Glauben leben und Heimat finden. Kirchliche
Schulen, von Eltern gesucht, wegen ihrer Qualität, wegen ihrer Werte,
wegen ihrer Offenheit für Religion. Soziales Engagement der Kirche, die
für Arme und Kranke enorm viel tut, oft im Verborgenen, ohne Kommerz.
Kirchliche Verbände, die für Ihre Mitglieder sozial und spirituell
Großes leisten. Laien, Priester und Ordensleute, die mit Hingabe ihre
Berufung leben. Effiziente Integrationsarbeit für Jugendliche und
Migranten. Weltweite Vernetzung und Hilfe, wo die Not am größten ist. Warum
findet sich in den Medien vor allem das Dunkel? Die Kirchen würden nur
noch „an der eigenen Abschaffung“ arbeiten (NZZ, 21.12.22). An Kardinal
Woelki reibt man sich, aufs Kleinklein fixiert, mit bitterem Unterton.
Im Internet findet man selbstverständlich alles an Gehässigkeit, was man
suchen will. Klar, Skandale sind attraktiver und verkaufen sich besser
als Erbauliches. Zölibatäre alte Männer mit seltsamen Gewändern eignen
sich immer gut für Bashing. Manche Autorinnen und Autoren schreiben wohl
auch aus persönlicher Verletzung. Aber rechtfertigt dies ausreichend
die Fixierung auf das Dunkel? Ich
kenne Menschen, die ein Leben lang nur gute Erfahrungen mit der Kirche
machten, viel in ihr profitiert haben und sich gerne engagierten; nun
lesen sie in der Zeitung, wie schrecklich die Kirche ist – manche treten
aus, engagieren sich aber weiter, gehen auch zum Gottesdienst. Ich
kenne Menschen, die nie mit der Kirche Kontakt hatten, keinerlei
Erfahrung haben; auch sie lesen all das Schlimme, empören sich, machen
Stimmung. Ich kenne junge Menschen, die den Glauben entdecken, sich
begeistern, ganz unverkrampft zur Kirche gehen und die negativen
Nachrichten achselzuckend ignorieren. Ich kenne Menschen, die katholisch
sind – „aber ohne Übertreibung“ –, in einer Kirchenbehörde arbeiten und
sagen, als Arbeitgeber ist die Kirche besser als die meisten anderen.
Ich kenne Menschen, die in ihrer Familie Opfer von Missbrauch waren und
meinen, wenn ihnen das in der Kirche passiert wäre, ginge es ihnen
besser, denn die Kirche tut immerhin etwas. Ich kenne Menschen, die in
Bistümern hohe Verantwortung haben, sich enorm engagieren – lauter und
kompetent, fleißig und tief fromm – und fassungslos darüber sind, wie
ihnen plötzlich „der Laden um die Ohren fliegt“. Irgendetwas stimmt hier
nicht: im widersprüchlichen Mix von Dunkel und Licht, in der
Wahrnehmung, im Urteilen und im Handeln. Medienkritik
durch Kirchenvertreter gilt als Wegverweisen von eigenen Sünden auf die
Sünden anderer. Politisch korrekt ist sie überhaupt nicht. Umgekehrt
ist Kirchenkritik durch Medienvertreter politisch hoch korrekt und soll
von Kirchenvertretern demütig geschluckt werden. Schlechte Nachrichten
sind oft Selffulfilling Prophecy: Wer liest, dass die Leute – weil die
Kirche so schlecht sei – in Massen austreten, findet die Kirche deswegen
schlecht und tritt aus – und macht damit alles noch schlechter. Dass
jedoch gut 20 Millionen Menschen in Deutschland trotz des miserablen
Renommees Mitglieder der katholischen Kirche sind, teilweise wohl
bewusster und überzeugter als früher, das liest man nicht. Ja,
der Reformbedarf ist riesig und die Fähigkeit zur Reform gering. Sind
nicht auch die starren bürokratischen Apparate mit dem vielen Personal
ein Problem? In anderen Ländern, in denen der Kirchenfrust geringer ist,
gibt es diese nicht. Wenn in naher Zukunft den Kirchen das Geld und das
Personal ausgehen werden, könnte das – bei allem Schmerz – auch helfen.
Kirche könnte auf diese Weise ehrenamtlicher und geschwisterlicher,
sozialer und spiritueller werden. Übrigens hat auch der Staat mit seinen
immer komplexeren Verwaltungsvorschriften seinen Anteil an dieser
durchaus gesamtgesellschaftlichen Misere. Christen
gehen in die Kirche nicht wegen der Kirche, sondern wegen des Glaubens.
Kirche ist weniger die sehr fehlbare Institution, sondern die
Gemeinschaft der Gläubigen. Wie kann es gelingen, diesen
verbindend-spirituellen Aspekt der Kirche im Bild, das sie für ihre
Mitglieder wie in der Öffentlichkeit abgibt, deutlicher aufscheinen zu
lassen? Wie kann das Licht in ihr mit dem Dunkel, das ja nicht vertuscht
werden soll, so zusammenwirken, dass die Kirche als das erscheint, was
sie ist: eine menschliche Gemeinschaft – fehlbar und immer im Umbruch –,
die auf die Rettermacht Christi vertraut und sich, durchaus mit Frucht,
engagiert für das leibliche und spirituelle Wohl aller Menschen und für
Gerechtigkeit und Friede?
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| Wir
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