Pressemitteilung
Wochenzeitung „Das Parlament“: „Ein falsches Signal“ - Frank Ullrich (SPD) im Interview
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 3. April 2023)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -
Frank
Ullrich, SPD-Politiker und Vorsitzender des Sportausschusses ist gegen
die vom IOC geplante Wiederzulassung russischer Athleten. Die Empfehlung
des IOC, russische und belarussische Athleten unter neutraler Flagge in
die internationale Sportwelt wieder einzugliedern, sei „verfrüht und
ein falsches Signal“, sagte Ullrich in einem Interview mit der
Wochenzeitung „Das Parlament“. Das IOC hätte die Russland-Frage im Sinne
der ukrainischen Sportler beantworten müssen. Angesichts der
Entwicklung des russischen Angriffskrieges bestehe aus seiner Sicht
derzeit für das IOC keine Notwendigkeit, seine Empfehlung vom 28.
Februar 2022 zurückzunehmen: „Dem Krieg sind bislang mehr als 220
ukrainische Sportler zum Opfer gefallen. Über 50 beschädigte
Sportstätten lassen keine Wettkampfvorbereitung zu.“
Einen Boykott Deutschlands als mögliche Reaktion auf die Empfehlung des IOC lehne er ab. „Wir haben mit Moskau und Los Angeles erlebt, dass diese Boykotte nichts gebracht haben und jeweils nur auf dem Rücken der Sportler ausgetragen wurden“, sagte Ullrich.
Auf die Frage, ob er für eine erneute Bewerbung aus Deutschland für die Ausrichtung Olympischer Spiele wäre, sagte Ullrich: „Definitiv!“ Er halte es für absolut sinnvoll, sich zu bewerben. Zukünftig müssten jedoch alle Institutionen von kommunaler Ebene bis zum Bund ineinandergreifen. „Es braucht eine nationale Begeisterung für Olympische Spiele im eigenen Land sowie ein aktives Zusammenspiel aus Sport, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und den Medien“, sagte Ullrich. „Geschlossenheit ist für eine erfolgreiche Bewerbung unabdingbar.“
Das Interview im Wortlaut:
Das Parlament:
Herr Ullrich, das IOC hat die Tür für die Rückkehr russischer und
belarussischer Sportler in den Weltsport geöffnet. Wie bewerten Sie
persönlich als Sportpolitiker und ehemaliger Spitzensportler diesen
Schritt?
Ullrich: Die Empfehlung des IOC, russische
und belarussische Athleten unter neutraler Flagge in die internationale
Sportwelt wieder einzugliedern, ist verfrüht und ein falsches Signal.
Das IOC hätte die Russland-Frage im Sinne der ukrainischen Sportler
beantworten müssen. Angesichts der Entwicklung des russischen
Angriffskrieges besteht aus meiner Sicht derzeit für das IOC keine
Notwendigkeit, seine Empfehlung vom 28. Februar 2022 zurückzunehmen. Dem
Krieg sind bislang mehr als 220 ukrainische Sportler zum Opfer
gefallen. Über 50 beschädigte Sportstätten lassen keine
Wettkampfvorbereitung zu.
Das Parlament: Das IOC argumentiert mit den UN-Richtlinien zur Diskriminierung...
Ullrich:
Die Wiederzulassung russischer und belarussischer Athleten vom
Diskriminierungsverbot abzuleiten, ist aus meiner Sicht zu kurz
gegriffen. Mein Herz schlägt für den Sport, aber nicht unter der
Prämisse, wenn Sportler für kriegspropagandistischen Zwecke
instrumentalisiert und missbraucht werden. Im Hinblick auf die
Wiederzulassungskriterien erwarte ich vom IOC eine strikte und
transparente Einhaltung.
Das Parlament: Im
Sportausschuss haben sich SPD, Union, Grüne und FDP in einer gemeinsamen
Erklärung für den Ausschluss ausgesprochen. Ein Boykott der Olympischen
Spiele in Paris 2024 wird aber abgelehnt. Ist das nicht ein bisschen
halbherzig?
Ullrich: Ich persönlich bin gegen einen
Boykott Deutschlands. Wir haben mit Moskau und Los Angeles erlebt, dass
diese Boykotte nichts gebracht haben und jeweils nur auf dem Rücken der
Sportler ausgetragen wurden, wo viele heute noch darunter leiden.
Das Parlament: Apropos
Olympia. Wie steht es denn mit einer erneuten Bewerbung aus Deutschland
für die Ausrichtung Olympischer Spiele. Wären Sie dafür?
Ullrich:
Definitiv! Ich halte es für absolut sinnvoll, sich zu bewerben. Sowohl
im Koalitionsvertrag als auch im aktuellen Sportbericht der
Bundesregierung findet eine mögliche Bewerbung für Olympische und
Paraolympische Spiele unter Beachtung der UN-Leitprinzipien für
Wirtschaft und Menschenrechte sowie der Einhaltung von Standards in
allen Facetten der Nachhaltigkeit ein klares Bekenntnis.
Das Parlament:
Zuletzt ist die Bewerbung Münchens für die Winterspiele 2022 am
Widerstand der Menschen vor Ort gescheitert. Wie kann das bei künftigen
Bewerbungen verhindert werden?
Ullrich: Aus meiner Sicht sind die Gründe der zurückliegenden gescheiterten Bewerbungen strukturell, politisch, personell und gesellschaftlich bedingt und zum Teil auch selbst verschuldet. Zukünftig müssen alle Institutionen von kommunaler Ebene bis zum Bund ineinandergreifen. Es braucht eine nationale Begeisterung für Olympische Spiele im eigenen Land sowie ein aktives Zusammenspiel aus Sport, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und den Medien. Geschlossenheit ist für eine erfolgreiche Bewerbung unabdingbar. Der Sport steht ganz im Zeichen der Teilhabe und Mitgestaltung. Demzufolge halte ich es für äußerst wichtig, dass die Gesellschaft beim Entstehungs- und Entscheidungsprozess mit eingebunden wird. Daher finde ich den Strategieprozess seitens des DOSB wegweisend. Zunächst sollten wir also das Heimspiel gewinnen und aufbauend eine Strategie für das Auswärtsspiel entwickeln, um das IOC für unser gemeinsames Vorhaben zu begeistern.
Das Parlament:
Über eine Fußball EM oder WM in Deutschland freuen sich die Menschen.
Der Ausrichtung Olympischer Spielen stehen sie indes eher ablehnend
gegenüber. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?
Ullrich: Die letzten Olympischen Spiele waren durch ausgeprägten Gigantismus, Menschenrechtsverletzungen und keine ökologische Nachhaltigkeit geprägt. Der Olympische Geist ist dadurch etwas verloren gegangen und die Begeisterung ebenfalls. Bundesweit betrachtet sind die meisten Mitglieder in einem Fußballverein organisiert. Fußball in Deutschland ist die populärste Sportart. Und demzufolge ist die EURO2024 auch ein Event, das gesamtgesellschaftlich inspiriert.
Das Parlament: Kann es dennoch gelingen, die Olympiabegeisterung zu wecken?
Ullrich:
Die vergangenen sportlichen Highlights wie die European Championships,
die Euro2022 im Basketball, die Doppel-WM in Oberhof haben eindrucksvoll
unter Beweis gestellt: Wir können Sportgroßveranstaltung. Ich bin
überzeugt, dass die Special Olympics World Games 2023 in Berlin, die
EURO 2024 sowie die Handball EM 2024 in Deutschland dazu beitragen
werden, mehr Menschen mitzunehmen und für den Sport in Verbindung mit
der Olympischen Idee zu begeistern.
Das Parlament: Für welchen Zeitraum sollten wir uns bewerben?
Ullrich:
Ich persönlich würde eine überregionale Bewerbung für den Zeitraum von
2030 bis 2040 begrüßen. Viele unserer Bundesländer verfügen über eine
gute Sportstätteninfrastruktur. Rückenwind für eine Bewerbung als Region
kommt auch aus der Olympic Agenda 2020. Das Bewerberinteresse für die
Sommerspiele 2036 und 2040 bewegt sich im zweistelligen Bereich.
Demzufolge sollte tiefgründig abgewogen werden, ob man für die Sommer-
oder Winterspiele seinen Hut in den Ring wirft.
Das Parlament: Der
Bund hat zwischen 2018 und 2021 etwa 2,3 Milliarden Euro an
Steuergeldern für die Spitzensportförderung zur Verfügung gestellt.
Insbesondere bei den Olympischen Sommerspielen war die Medaillenbilanz
jedoch enttäuschend. Jetzt wird die 2016 begonnene Spitzensportreform
reformiert. Der DOSB ist überzeugt, dass damit die benötigte Kehrtwende
gelingen kann. Sie auch?
Ullrich: Die
Erwartungshaltung ist hoch. Ich bin optimistisch, dass durch das
gemeinsam erarbeitete Grobkonzept von DOSB und BMI eine Trendwende
erzielt werden kann. Für mich ist es wichtig, die Ausrichtung des
Spitzensportes neu zu definieren. Es bedarf klarer Ziele und konkreter
Vorstellungen.
Das Parlament: Das BMI
fordert, doping-, manipulations-, korruptions- und gewaltfreien Sport zu
gewährleisten. „Nur ein fairer und regelkonformer Sport verdient die
finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand“, heißt es im
Sportbericht. Legen wir uns im internationalen Vergleich, wo es am Ende
doch nur ums Gewinnen geht, mit unseren Ansprüchen zu viele Fesseln an?
Ullrich:
Ein fairer und regelkonformer Sport sollte immer die Basis bilden.
Dabei ist die Integrität des Sports das höchste Gut, sowohl national
auch international.
Das Parlament: Der
Breitensport bildet ja die Basis für Erfolge im Spitzensport. Erst die
Corona-Maßnahmen und jetzt die Kostensteigerungen durch Inflation und
Energiekrise machen den Vereinen zu schaffen. Zudem hat sich der ohnehin
schon vorhandene Bewegungsmangel in der Bevölkerung in den letzten
Jahren verstärkt. Was kann der Bund tun, um diesen Entwicklungen
entgegenzuwirken?
Ullrich: Das Restart-Programm ist
ein guter Anfang, um Deutschland nach der Pandemie wieder in Bewegung zu
bringen. Ich würde mir eine Verstetigung und kontinuierliche
Weiterentwicklung wünschen. In diesem Zusammenhang nimmt der
Entwicklungsplan eine zentrale Rolle ein.
Das Parlament: Was macht der ehemalige Spitzen-Biathlet Frank Ullrich eigentlich, um fit zu bleiben?
Ullrich:
Da schon allein das politische Pensum sehr sportlich ist, bleibt leider
wenig Zeit für die eigene Fitness. Ich bin sehr froh, dass sich mein
Ausschussbüro in der 5. Etage befindet. Deshalb sind Fahrstühle für mich
tabu und das Treppentraining erinnert mich an frühere
Trainingseinheiten an unserer Skisprungschanze im Kanzlersgrund.
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